Empfehlung für Fachpersonen zum Umgang mit Schnullern (Nuggis) bei gesunden Säuglingen
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Wichtigstes in Kürze
Der Schnuller, auch Nuggi und Beruhigungssauger genannt, ist in der industrialisierten Welt sehr verbreitet. Er wird als unverzichtbarer Trostspender angesehen. Kinder beruhigen sich beim Saugen und finden nuckelnd in den Schlaf. Die Entscheidung, ob einem Kind ein Schnuller gegeben wird, liegt allein bei den Eltern. Um Verständnis für die Bedürfnisse eines Kindes entwickeln und eine informierte Entscheidung bezüglich des Einsatzes eines Schnullers treffen zu können, sind fachliche Informationen nach neustem Wissensstand wichtig und wertvoll. Beim Saugen am Schnuller muss sich der Mundraum dem nicht dehnbaren, starren, vorgeformten Fremdkörper anpassen. Die verschiedenen Empfindungen im Mund können die Abläufe beim Saugen beeinflussen, was zu verändertem Saugverhalten, zu ungenügender Milchentnahme und zu Stillproblemen führen kann. Ausgedehntes, anhaltendes Saugen am Schnuller kann zu späteren Zahn- und Kieferfehlstellungen und zu Störungen in der Artikulation führen. Ein Kind sollte immer wieder Gelegenheit haben, ohne Schnuller im Mund zu sein. Mundraum und Gesicht können sich entspannen, der Säugling kann Laute bilden, verbal kommunizieren und seine Hände und seine unterschiedliche Umgebung mit den sensitiven Lippen erfahren und wahrnehmen. Dies wirkt sich positiv auf die Interaktion mit dem Umfeld aus.
Aktuelle Empfehlungen
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Das Stillen ist die wichtigste Präventionsmassnahme gegen verschiedenste Erkrankungen und Risiken. Daher sollte das Augenmerk auf einer gelingenden Stillbeziehung liegen und der Schnuller frühestens dann eingeführt werden, wenn das Stillen gut etabliert ist.
Der Schnuller sollte nicht als erste Beruhigungsmassnahme für einen unruhigen Säugling dienen. Zuwendung, Körperkontakt, Tragen und andere Beruhigungsmöglichkeiten sollen vorrangig an-gewendet werden. Gestillte Kinder sollen an der Brust nicht nur ihr Nahrungs-, sondern auch ihr Saugbedürfnis befriedigen können. Eine Begrenzung der Zeit an der Brust, eine Regulierung oder Behinderung des non-nutritiven Saugens an der Brust wird nicht empfohlen.
Wenn ein Schnuller verwendet wird, sollte er verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Der Einsatz soll dem Prinzip «so wenig wie möglich, so viel wie nötig» folgen.
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Nicht gestillte Kinder sollten zum Sich-Entspannen und zum Einschlafen einen Schnuller erhalten, sofern sie ihn gerne akzeptieren.
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Keinesfalls soll ein Schnuller aufgezwungen werden und auch nicht erneut in den Mund gesteckt werden, wenn er herausgefallen ist.
Vertiefte Informationen
Säuglinge haben, wie es das Wort schon sagt, ein natürliches Bedürfnis zu saugen und zu nuckeln, welches über die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme hinausgeht. Saugen und Saugbewegungen helfen einem Baby, seine Bedürfnisse zu regulieren, sich zu entspannen und in den Schlaf zu finden. Beim Saugen wird Speichel produziert, welcher die Verdauungsvorgänge unterstützt. Saugen trägt dazu bei, die Strukturen des Gesichts zu formen und zu stärken und hat somit Einfluss auf die Atmung, das Essen, das Sprechen und das spätere Aussehen. Beim Saugen an der weichen, formbaren Mutterbrust wird die gesamte Gesichtsmuskulatur aktiviert und trainiert. Die Brust passt sich optimal der Form des Mundes an [
1]. Der Kindermund ist dabei in direktem Kontakt mit der Haut der Mutter. Mikroorganismen werden ausgetauscht, mütterliche Hormone für die Milchbildung stimuliert und der Milchspendereflex ausgelöst. Stillen nach Bedarf und der Wechsel während des Stillens von nährendem (nutritivem) Saugen und nicht nährendem (non-nutritivem) Saugen tragen zur Regulierung der Milchmenge bei.
In den ersten Tagen nach der Geburt – während der Zeit, in der das Neugeborene lernt, an der Brust zu trinken – kann die Verwendung eines Schnullers das Saugverhalten beeinflussen. Beim Saugen am Schnuller muss sich der Mundraum dem nicht dehnbaren, starren, vorgeformten Fremdkörper anpassen. Die verschiedenen Eindrücke und Empfindungen im Mund können die Bewegungsabläufe der Lippen, Zunge, Kiefer und Muskeln verändern. Dies kann zur Folge haben, dass der Säugling die Brust nicht wirkungsvoll entleeren kann und zu wenig Milch zu sich nimmt. Für die Mutter kann in der Folge das Stillen mit Schmerzen verbunden sein und es kann zu wunden Mamillen kommen. Es gibt auch Säuglinge, die sich trotz Hunger mit dem Schnuller beruhigen lassen und dadurch weniger ihr Nahrungsbedürfnis decken. Dies kann zu Milchstau, zu verminderter Milchproduktion und zu geringerer Gewichtszunahme führen und dazu beitragen, dass Frauen ihre Kinder weniger lange voll stillen
[2].
Ausgedehntes, anhaltendes Saugen am Schnuller kann weitreichende Auswirkungen haben. Durch den Fremdkörper verändern sich die Strukturen und die Druckverhältnisse im Mund-Nasen-Rachen-Raum. Mittelohrentzündungen können häufiger auftreten und es kann zu Zahn- und Kieferfehlstellungen kommen [
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4]. Ist der Schnuller im Mund, ist ein vollständiger Mundschluss der Lippen nicht möglich. Das Schlucken des Speichels ist erschwert und die Ruhelage der Zunge verändert sich. Der Schnuller im Mund behindert die Lautbildung und den Kontakt der Lippen mit der Haut, den Händen und der Umwelt.
Säuglinge haben unterschiedliche Bedürfnisse und Temperamente. Wenn jedes Weinen als Saugbedürfnis interpretiert und mit der Gabe eines Schnullers beantwortet wird, werden andere Bedürfnisse zu wenig bedacht: Bedürfnisse nach Nahrung, nach Körperkontakt, nach Getragen werden, nach Berührung, Ruhe, Abwechslung, frischen Windeln, nach Lautbildung und Kommunikation, nach Ansprache, Augenkontakt etc. [
5].
Kann ein Säugling sein Bedürfnis zu saugen und zu nuckeln nicht an der Brust stillen, beispielsweise aufgrund einer Trennungssituation, bei grosser Unruhe, wunden Mamillen und/oder fehlender Information, Bereitschaft/Verständnis der Mutter, oder wenn nicht gestillt wird, ist es wichtig abzuwägen, ob in diesen Situationen ein Schnuller angeboten werden soll [
6].
Der Einsatz eines Schnullers für gestillte Kinder wird kontrovers diskutiert. Ob die Gabe eines Schnullers das Stillen prinzipiell stört, ist nicht abschliessend geklärt. Für beide Aussagen liegen entsprechende Studien vor [
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9]. Der gelegentliche Einsatz eines Schnullers bei bereits etablierter Stillbeziehung, die ohne Stillprobleme verläuft, scheint keinen negativen Effekt auf das Stillen zu haben. Wenn bereits Stillprobleme bestehen, kann die Gabe eines Schnullers die Situation jedoch verschärfen.
Schnuller gibt es in vielen verschiedenen Designs, Formen, Materialien und Grössen. Von den Herstellern werden sie als kiefergerecht, physiologisch, symmetrisch, flexibel, anatomisch korrekt, funktional, naturnah, die Mundentwicklung unterstützend, seidig weich, geruchs- und geschmacksneutral, reiss- und bissfest und mit vielen weiteren Attributen beschrieben. Gemäss heutigen Empfehlungen von Fachpersonen (Zahnärzte, Logopäden) sind diese Aussagen irreführend. Es gibt keinen eindeutig unbedenklichen Schnuller. Jeder Schnuller ist ein Fremdkörper im Mund des Kindes. Der Schnuller sollte möglichst flach, weich, flexibel und leicht (ohne Ring) sein. Er sollte, wenn er im Mund ist, nicht an einer Nuggikette befestigt sein [
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Der Schnuller als Einschlafhilfe kann einen protektiven Effekt gegen SIDS (plötzlicher Kindstod) haben, dies wurde in mehreren Studien belegt [
12]. Bislang ist der genaue Wirkmechanismus jedoch unklar, ebenso die Frage, ob der Schnuller auch bei Stillkindern protektiv wirkt. Gesichert hingegen ist, dass das Stillen an sich einen schützenden Faktor gegen SIDS darstellt [
13].
Wann der richtige Zeitpunkt ist, ein Kind vom Schnuller zu entwöhnen, wird ebenfalls sehr kontrovers diskutiert. Der Grat zwischen Saugbedürfnis und Lutschgewohnheit ist schmal. Das gewohnheitsmässige Saugen am Schnuller kann zu Zahn- und Kieferfehlstellungen und zu Störungen der Artikulation führen. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, insbesondere Intensität, Dauer und Häufigkeit des Saugens am Schnuller. Ein Kind sollte immer wieder Gelegenheit haben, ohne Schnuller im Mund zu sein. Mundraum und Gesicht können sich entspannen, der Säugling kann Laute bilden, verbal kommunizieren und seine Hände und seine unterschiedliche Umgebung mit den sensitiven Lippen erfahren und wahrnehmen, was sich positiv auf die Interaktion mit dem Umfeld auswirkt.
Autorin: Therese Röthlisberger, Still- und Laktationsberaterin IBCLC, in Zusammenarbeit mit dem Fachbeirat von Stillförderung Schweiz
Quellen
[1] A Newborn’s Anatomy – Aids in Breastfeeding
[2] Non-nutritive sucking with a pacifier: Pros and cons
[3] Prävention orofazialer Dysfunktion im Spannungsfeld von Kieferorthopädie und Logopädie
[4] The effect of Pacifier sucking on orofacial structures: a systematic literature review
[5] Möglichkeiten ein Baby zu beruhigen
[6] Predictors of and reasons for pacifier use in first-time mothers: an observational study
[7] A Comprehensive Review of Evidence and Current Recommendations Related to Pacifier Usage
[8] UNICEF/WHO baby-friendly hospital initiative: does the use of bottles and pacifiers in the neonatal nursery prevent successful breastfeeding? Neonatal Study Group
[9] Pacifier use and interruption of exclusive breastfeeding: Systematic review and meta-analysis
[10] Europäisches Institut für Stillen und Laktation
[11] Zu Form und Grösse eines Schnullers hat die Logopädin Mathilde Furtenbach gemeinsam mit der Universität für Pädiatrie Innsbruck hilfreiche Informationen zusammengestellt, die für Eltern und Fachpersonen zur Verfügung stehen.
[12] Pacifier use and SIDS: evidence for a consistently reduced risk
[13] SIDS and Other Sleep-Related Infant Deaths: Expansion of Recommendations for a Safe Infant Sleeping Environment
Eine informative Seite rund um Schnuller/Beruhigungssauger und Stillen in Deutsch ist auf der Website der La Leche League International zu finden mit vielen weiteren Quellen